111 Jahre Siegmundsches-Haus zu Allagen
Die Siegmunds
Es beginnt am 02.09.1761, als Ferdinand Siegmund als natürliches Kind eines preußischen Soldaten geboren wird. Die Kindsmutter ist Maria Catharina Schwemmer gen. Eickel zu Niederbergheim. Im Jahre 1786 verheitratet sich Ferdinand, inzwischen Amtsdiener zu Allagen, mit Clara Stephens, eine Enkeltochter des ehemaligen Küsters am Ort. Bis zum Tode der Clara Stephens im Jahre 1810 zählt die Familie bereits fünf Kinder. Schon vier Monate später heiratet Ferdinand ein zweites Mal, nämlich Catharina Elisabeth Höcker aus dem Kirckspiel Mülheim Sichtigvor. Zu dieser Zeit ist er bereits als königlicher Amtsdiener dort tätig. In den Jahren 1811 bis 1829 erblicken sechs weitere Kinder das Licht der Welt, von denen zwei Töchter am Ort Familen gründen. Zum einen in Form der Familie des Adolph Cordes in Waldhausen und zum anderen durch Heirat der Elisabeth Siegmund mit Wilhelm Mattenklotz. Die Hausstätte Mattenklotz wird später von Joseph Hillebrandt gen. Redder erworben, dessen Familie bis heute Hillebrandt gen. Siegmund genannt wird. Eine der wenigen verbliebenen Spuren des Namens Siegmund.
Von den fünf Kindern der ersten Ehe des Ferdinand Siegmund hinterlassen zwei familiäre Spuren im Möhnetal. Gertrud verheirate sich mit Max Goesmann. Deren Nachfahren finden sich heute z.B. in den Familien Goesmann gen. Handels (Koch) und Schrewe (Rusche).
Der Sohn Heinrich (1790-1855) verheiratet sich ebenfalls recht ordentlich in Allagen mit Anna Catharina Thiele gen. Hucht, deren Bruder Theodor (1785-1846) übrigens die Drahtrolle am Lietfeld erbaute, später Marmorwerk Dassel.
Gemäß Eintrag im Urkartaster ca. 1826 bewohnte Heinrich, der nun von Beruf Zimmermann ist, ein Haus in Allagen, Ecke Dorfstraße Viktor-Röper Straße Krebsufer.
Von deren drei Kindern überleben zwei den Vater. Die Tochter Josephine bleibt unverheiratet und bewohnt mit ihrer Tochter Gertrud Elisabeth Siegmund das väterliche Haus. Diese verheiratet sich 1873 in Dortmund mit Heinrich Assmuth, womit die Ära Siegmund in Allagen zunächst ein Ende findet.
Kümmern wir uns nun um Franz Maxililian Siegmund (1820-1886), Sohn des Heinrich Siegmund und der Anna Catharina Thiele gen. Hucht. Er ist Ackerknecht in Westendorf und seit 1843 verheiratet mit Elisabeth Fastnacht, die 1864 stirbt.
In zweiter Ehe heiratet er nun als Ackerknecht in Völlinghausen 1871 die Anna Gertrud Beckschware in Körbecke Völlinghausen. Die Tochter Elisabeth Siegmund heiratet später den Clemens Köster aus Hirschberg in Völlinghausen.
Heinrich Siegmund, Ackerknecht in Oberbergheim, der Sohn aus der ersten Ehe mit Elisabeth Fastnacht geht am 28.11.1863 in Allagen die Ehe mit Maria Schütte gen. Kochschnieder aus Erwitte Völlinghausen ein, die schon am 07.01.1866 verstirbt. Es bleiben der Ehemann und zwei Kinder zurück.
Bereits im Mai 1867 heiratet Heinrich erneut und zwar die Theresia Schröder gen. Sprencke aus Niederbergheim, die Tante der Ehefrau Franz Ferber gen. Schröer aus Niederbergheim.
Aus Allagen als Koksmeister in Gelsenkirchen
Heinrich Siegmund verläßt schließlich seine Heimat und versucht sein Glück im Ruhrgebiet. Er geht nach Gelsenkirchen, wo er als Koksmeister tätig wird.
Von seinen zwei Kindern verstirbt in der Folgezeit die Tochter Elisabeth Theresia, so dass der Sohn Franz zusammen mit Vater und Stiefmutter in Gelsenkirchen heranwächst.
Damit scheint eine weitere Ära der Familienzweige Siegmund abgeschlossen zu sein.
Doch dem ist nicht so.
Im April 1906 im Alter von 63 Jahren kauft Heinrich Siegmund aus Gelsenkirchen ein Grundstück im Zentralort Allagen. Ob er oder bereits sein Sohn Franz die treibende Kraft ist, kann nicht gesagt werden. Verkäufer des Grundstücks ist Fritz Rosier.
Der Architekt Josef Ferber plante den Altersruhesitz
Der in Allagen geborene Josef Ferber, selbständiger Architektr aus Soest, wird beauftragt, ein Mehrfamilienhaus auf diesem Grundstück zu errichten, wohl als Geldanlage und als Alterswohnsitz gedacht.
Im Jahre 1904 war Josef Ferber noch als angestellter Architekt bei Dombaumeister Wilhelm Sunder-Plaßmann mit dem Bau der alten Schule in Allagen beauftragt worden, so dass das Siegmundsche-Objekt wohl mit Fug und Recht als eines der ersten in seiner Selbständigkeit angesehen werden kann.
Die Bauunterlagen aus dem Archiv der Stadt Warstein geben einen schönen Einblick in die Umsetzung eines solchen Vorhabens von vor nunmehr 111 Jahren.
Das Siegmundsche-Haus ist grundsätzlich als Mehrfamilienhaus für drei Wohneinheiten konzipert, wobei die Planung zweier Treppenabsatzaborte einen städtischen Standard bedeuten. Wenig städtisch sind dagegen die drei geplanten separaten Schweineställe, welche ein Tribut an die ländlichen Bedürfnisse darstellen.
Ein Haus, welches so gar nicht in das Ortsbild Allagens passen will
Ein Haus, das in Soest oder Gelsenkirchen keinerlei Verwunderung hervorbringen würde. Es wird in hellem Bruchsteinmauerwerk mit Fachwerkelementen ausgeführt. Die Bauabwicklung und -aufsicht hat sich damals wie heute kaum verändert. Der Polizeidiener Budde hat z.B. die Aufgabe, die Maßnahme zu prüfen und zu bescheinigen. Das Eindringen von Wasser im Keller ist ein Problem. Ein fehlender Abfluss ist die Ursache. Die ersten Mieter werden gesucht. Lehrer Joseph Essleben betreut die Objektbesichtigung zusammen mit dem Junglehrer Reiter, dem ersten Mieter im Erdgeschoss, so beschreibt es eine Aktennotiz.
Der Bauherr Heinrich Siegmund hat nie in diesem Haus gelebt. Er starb am 04.09.1908 in Gelsenkirchen. Das gleiche gilt auch für seine Ehefrau, die am 05.11.1913 in Witten verstirbt. Sohn Franz Siegmund lebt zu der Zeit bereits mit seiner Familie als Kaufmann in Witten. Er hat im Mai 1893 Theresia Stichternath, die Tochter eines Steinbruchbesitzers in Witten geheiratet. Sie bekommen 11 Kinder, von denen fünf bereits im Kleinkindalter versterben. Im Januar 1922 stirbt auch Franz Siegmund.
Nach dem Tod ihres Mannes geht gemäß Melderegister seine Frau bzw. Wittwe Anfang Mai 1922 von Witten nach Allagen, wahrscheinlich in das Haus ihrer Familie, welches sie bereits Ende April.1923 wieder in Richtung Witten verläßt.
Als unmittelbare Folge der Nachkriegsnotwendigkeit fallen in diese Zeit die Bemühungen der kirchlichen und politischen Gemeinden Allagen, eine geeignete Sozialstruktur aufzubauen.
„Die Initiative zur Einrichtung einer solchen Sozialstation ging von Pfarrer Johannes Schröder aus. „Einen warmen Fürsprecher fand Pfarrer Schröder an dem damaligen Vorsteher Theodor Ferber„,“ berichtet Bernard Kraft.
Im Jahre 1924 wird das Haus durch die politische Gemeinde Allagen erworben.
In Witten ist die Familie Siegmund zu diesem Zeitpunkt bereits heillos zerstritten. Die Wittwe des Franz Siegmund erkrankt schwer und wird schließlich entmündigt. Ab Oktober 1927 ist sie in der Klinik Warstein Suttrop in Behandlung. Im September 1933 wird ihre Schwiegertochter, Ehefrau des Sohnes Hans Siegmund, auf ihre Situation aufmerksam und aktiv. Hans holt seine Mutter zu sich nach Klingenberg am Main, wo sie bis zu ihrem Tod im September 1955 lebt.
Damit ist die personenbezogene Geschichte des Hauses Siegmund nun endgültig abgeschlossen.
Das Siegmundsche-Haus wird das St.-Johannesstift
Hauplehrer Bernard Karft beschreibt in seinem Buch die Situation, wie folgt:
„Da das Siegmundsche-Haus aber von mehreren Mietern bewohnt wurde, für die vorläufig keine andere Wohnung beschafft werden konnte, wurde die Einrichtung des Heimes vorerst hinausgeschoben. Als sich dann in den folgenden Jahren die Wohnraumbeschaffung besserte, beschloß die Gemeinde am 19. Dezember 1927, das Gemeindehaus als Schwesternheim einzurichten. Es sollten darin vor allem auch die Ortsarmen untergebracht werden, die bis jetzt den Krankenhäusern in Körbecke oder Warstein zugewiesen werden mußten. Am 15. Oktober 1928 wurde dann das Heim eröffnet. Es wurde ihm der Name „St.-Johannesstift-Kriegerehrung“ verliehen. Die erste Oberin, die das Heim zunächst mal wohnlich einrichtete, war Schwester Gertrudis. Nach und nach wurde das Heim von Mietern frei, so dass Anfang 1929 sämtliche Räume den Schwestern zur Verfügung standen. Am 24. November 1928 kam als Krankenschwester Schwester Ottilie. Da die Aufgaben des Heimes in der weitverzweigten Gemeinde immer größer wurden, kam am 10. Februar 1929 eine dritte Schwester. Seit I930 wird das Heim mit Umsicht und Liebe von Schwester Oberin Barbara geleitet, die es vor allem verstanden hat, das Heim über die schweren Kriegs- und Nachkriegsjahre hinüberzuleiten.“
Das St.-Johannesstift wird von 1928 bis 1961 von den Schwestern der Genossenschaft vom göttlichen Kinderfreund geleitet, die am 26. April 1961 in das Mutterhaus nach Bredenscheid bei Hattingen zurückkehren.
Das St.-Johannesstift wird Postamt
Nach der Rückkehr der Schwestern in das Mutterhaus wird mit Mietvertrag zwischen der Gemeinde und der Post vom 4. März 1961 das Haus zum Postamt Allagen. Die Posteinrichtung befindet sich im Erdgeschoss. Durch die kommunale Zusammenlegung der Gemeinden fällt das Haus schließlich an die Stadt Warstein.
Das Postamt wird Schreibwaren Franke
Im Jahre 1999 erwerben Ursula und Paul Franke gen. Schwemmer das Haus von der Stadt Warstein, um ihr Schreibwaren-, Tabak-, Lotto-Geschäft dort einzurichten. Ulla Franke betreibt dieses Geschäft in eigener Regie bis ins Jahr 2012
Schreibwaren Franke wird Anne Müllers Schreibwaren und mehr
Die Eheleute Franke übergeben schließlich das Geschäft an Anne Müller, die die Aktivitäten unter der Bezeichnung Schreibwaren und mehr weiterführt und weiter ausbaut, bis sie aus gesundheitlichen Gründen das Geschäft aufgibt.Schreibwaren und mehr wird City Point
Aus Anne Müllers Schreibwaren und mehr wird am 2. September 2016 Jürgen Ferbers City Point. Inzwischen eine feste Institution in der City Allagens.
Die Geschichte eines Hauses ist immer die Geschichte der damit verbundenen Familien.
Ein Beitrag zur Orts- und Familiengeschichte Allagens,
aufgeschrieben von Ferdinand Ferber, 2017