Was wurde aus Schlup?
von Ferdinand Ferber
Die früheste bekannte Nennung eines Herman Schlup findet sich im Jahre 1565 im Kirchspiel Allagen. In dem im Jahre 1608 angelegten sogenannten ältesten Allagener Kirchenbuche ist ein gewisser Schlup als Bürger des Ortes Allagen vermerkt. Der Eintrag im Einkünfteverzeichnis der Kirchengemeinde Allagen aus dem Jahre 1683 nennt ihn nun als Joann Schluppes. Im Kopfschätzregister des Jahres 1685 wird ein Schlupp Senior mit der Fraw angeführt und 1717 wird Antonius ger. Tönnies Schlup gemeinsam mit seiner Frau als Straßenlieger im Orte Allagen genannt. Außerdem leben im Haus der Familie Schlup ein Beilieger mit seiner Frau.
Die Hausstätte dieser Familie liegt unmittelbar an der damaligen kleinen Kirche im Zentrum Allagens.
Dieses Kirchlein war bereits der dritte Kirchenbau im Kirchspiel Allagen, welcher im Jahre 1670 nach Abbruch der zweiten Kirche neu errichtet wurde.
In den Jahren 1719 und 1723 stellt sich Nachwuchs bei den Schlups ein, zwei Töchter werden geboren, über deren weitere Lebenswege nichts bekannt ist. Damit ist im wesentlichen bereits die Geschichte der Familie Schlup erzählt.
Die Familie existiert nicht mehr. Lediglich der Familienname als Hausstättenbeiname, hat sich bis heute als Kennzeichnung für die nachfolgenden Eigentümer dieser Stätte erhalten.
Was im Detail geschah, bleibt wohl im Dunkel der Geschichte verborgen.
Hügel gen. Schlup
Ein Neffe des Tönnies Schlup, der Bierbrauer Thomas Hügel gen. Schlup, tritt offensichtlich die Erbfolge an und verheiratet sich im Jahre 1755 in Allagen mit Margaretha Bathen aus Suttrop. Von den fünf Söhnen der Ehe hinterlassen vier die umfassenden Spuren der diversen Familienzweige Hügel im Kirchspiel Allagen.
Nach dem Tod des Thomas Hügel heiratet die Witwe im Jahre 1780 den Johannes Heinrich Joseph Dirks aus Dreierwalde im Münsterland, wodurch sich eine neue Geschichtsphase ausbildet.
Dirks gen. Schlup
Der Gast- und Schankwirt Johannes Heinrich Joseph nennt sich nun Dirks gen. Schlup. Nach dem Tod seiner Frau heiratet er im Jahre 1805 erneut und zwar die Anna Maria Hanno aus Altengeseke. Der erstgeborene Sohn stirbt 1809 in der Geburt. Die 1807 geborene Tochter dieser Ehe heiratet später nach Altengeseke. Der Sohn Johannes Henricus wird schließlich 1810 geboren und bildet den Stamm der nachfolgenden Dirks-Familien. Der Vater verstirbt als er zwei Jahre alt ist und die Mutter geht eine neue Ehe mit Joannes Heinrich Anton Gosmann aus dem Hause Gaddermann zu Mülheim ein, der sich fortan Gosmann gen. Schlup nennt. Der Sohn dieser Ehe Friedrich Gosmann bildet anschließend den Stamm der Familienzweige Gosmann gen. Schenke in den Kirchspielen Allagen und Mülheim.
Die Ära der Familien Dirks, die als Ackerleute und Schankwirte in Allagen erfolgreich sind und Geschichte schreiben, hält sich nun von 1780 bis ins Jahr 1914.
Mehrere der elf Kinder aus zwei Ehen des Johannes Henricus Dirks gen. Schlup verheiraten sich in eine Reihe von Stammfamilien Allagens und Niederbergheims.
Machen wir nun einen zeitlichen Sprung und wenden uns dem im Jahre 1857 geborener Enkel Johannes Franz Wilhelm Dirks gen. Schlup zu. Dieser ist ganz im Sinne der Familie als Ackerer, Bäcker, Kolonialwarenhändler bzw. als Schank- und Festwirt etabliert.
Wilhelm Dirks gen. Schlup wird schließlich Rendant der im Jahre 1896 unter dem Namen -Allagener Spar- und Darlehnskasse- gegründeten ersten Bank in Allagen. Die Bankgeschäfte werden im Gasthaus der Familie Dirks abgewickelt.
Mit dem Bau der Eisenbahnlinie verändern sich die betroffenen Bebauungen. Die Anwesen des Thiele gen. Hucht und Schulte gen. Altehucht verschmelzen mit dem Eigentum der Familie Dirks. Dort entsteht ein großes Hof- bzw. Festgebäude, welches später ersetzt wird.
Die Familie Dirks überlässt dem Kriegerverein Allagen ein Randgrundstück, auf dem das bekannte Kriegerdenkmal errichtet wird.
Die Gastwirtschaft Dirks ist für eine lange Zeit das Zentrum für die Ausrichtung aller großen Festlichkeiten in Allagen, die sogar in einem eigenen Festzelt abgehalten werden.
Im Frühjahr des Jahres 1914 legt Wilhelm Dirks sein Amt als Rendant nieder. Nachfolger in dieser Funktion wird Josef Droste aus Niederbergheim, der die neu ausgerichtete Bank in sein Wohnhaus nach Niederbergheim verlegt.(4)
Die Ära Kühle
Nach dem Ende der Ära Dirks gen. Schlup werden die weiteren Geschicke des Hauses nun von Franz Caspar Kühle gen. Hillebrand gelenkt. Er ist in Waldhausen geboren worden und zunächst als Bäcker in Allagen beim Gastwirt Dirks tätig gewesen. Franz Kühle geht im Jahre 1896 in Allagen die Ehe mit Maria Anna Elisabeth Wrede gen. Trotschulte ein, die als Näherin im Hause Dirks tätig ist. Ihr Urgroßvater Johann Wilhelm Wrede gen. Trotschulte (1742-1852) ist übrigens der älteste registrierte Bürger Allagens. Er wurde 109 Jahre alt.
Die Eheleute Kühle übernehmen zunächst eine Gastwirtschaft mit Bäckerei in Völlinghausen, die Florenz III von Bockum Dollfs dort errichtet hatte, später Gasthof Bittern bzw. Schüttler. In dieser Zeit werden auch die zehn Kinder der Eheleute geboren, von denen zwei nur wenige Tage alt werden.
Die Familie Kühle erwirbt am 01.04.1915 das Anwesen Schlup und setzt die Haustradition erfolgreich fort.
Im Kaufvertrag ist zu lesen:
„Die Allagener Spar- und Darlehnskasse verkauft dem Gastwirt und Bäcker Franz Kühle zu Völlinghausen folgende im Grundbuch von Allagen eingetragenen Grundstücke. Wohnhaus mit Hofraum und Hausgarten, Stall, Scheune, Hausgarten, Hofraum mit Wartehalle, Garten am Kirchhof. Parzellen 89 bis 134. Außer dem Hause, Wirtschafts- und Bäckereigebäude gelten als mit verkauft sämtliche Bestandteile und Zubehörstücke und Mobilien. Die in dem Hause betriebene Wirtschaftskonzession soll auf den Erwerber übergehen.“
Die Übergabe erfolgt am 01.04.1915.
Die Familie Kühle betreibt ab jetzt eine eigene Gastwirtschaft und eine kleine Bäckerei, die jedoch später zugunsten des Sohnes Heinrich ger. Heinz Kühle (1904-1967) aufgegeben wird. Der älteste Sohn Franz Kühle (1897-1964) war zuvor schon wie sein Vater in Anstellung beim Gastwirt Dirks.
Die Kühlen etablieren sich erfolgreich als Festwirtsfamilie, wobei der frühe Tod des Vaters im Jahre 1917 alle Verantwortung in die Geschicke der Witwe bzw. Mutter legt. Diese ergreift die Initiative und errichtet im Jahre 1924 durch den Umbau der bestehenden Scheune einen für damalige Verhältnisse imposanten neuen Festsaal, in welchem in der Folgezeit nahezu alle Allagener Großereignisse gefeiert werden. Der ausführende Architekt Förster aus Effeln entstammt übrigens der Niederbergheimer Familie Förster gen. Pelsmann.
Es werden fortan legendäre Schützenfeste, Karnevalsveranstaltungen, Erntedankfeste, Theatervorführungen, usw., für mehr als 500 Gäste in Allagen ausgerichtet. Zeitzeugen schwärmen noch heute von diesen Events, die für so manche Familiengründung verantwortlich sind.
Erwähnenswert ist an dieser Stelle noch, dass im Jahre 1929 die Baugenehmigung zur Einrichtung eines Warte- und Sprechzimmers für einen Zahnarzt über der Backstube und dem Lager in einem Teil des kleinen Saales erteilt wird.
Im Jahre 1935 muss die Familie Fritz Stockebrand in Niederbergheim den dortigen Bäckerei- und Gastwirtschaftsbetrieb, vormals Cordes, aus wirtschaftlichen Gründen aufgeben.
Der zweite Sohn der Familie Kühle, Heinrich ger. Heinz Kühle (1904-1967) der ebenfalls Bäckermeister ist, kauft das Anwesen und renoviert es umfassend. Bereits im Mai des Jahres 1935 kann der Betrieb wieder aufgenommen werden. Aus der Überschreibung des Vermögens der Witwe Franz Kühle auf ihren Sohn Franz geht unter anderem hervor, welche Zuwendungen er an seine sieben Geschwister zu zahlen hat.
So erhält Heinz als Grundlage zur Selbständigmachung das Pferd, den Brotwagen, die Hälfte der Bäckereieinrichtung, den Bäckereimotor, die Knetmaschine sowie die Hälfte der Kundschaft. Die Ära Kühle zu Niederbergheim beginnt.
Es wird gelumbeckt
Die Betriebsstätten des Verlages Emil Lumbeck wurde am 01.09 1943 vom Essener Villenvorort Bredeney nach Allagen verlegt und im Saal Kühle untergebracht.
Der Verleger Emil Lumbeck erfand ein spezielles Verfahren der sogenannten Kaltklebebindung, welches als „Lumbecken“ in der Druckindustrie noch heute bekannt ist.(1)
Von Februar 1949 bis Dezember 1950 unterhält Emil Lumbeck in Allagen einen Betrieb zur Herstellung und zum Vertrieb von Buchbindeartikeln.(2)
Lumbeck geriet durch das enorme Interesse an seiner Erfindung in die Mühlen der Nationalsozialisten und wurde von deren Funktionären gelenkt, wobei ihm eigentlich lediglich sein Verfahren am Herzen lag.
Emil Lumbeck richtet im Keller des Saales einen Luftschutzraum ein, der von innen und auch von außen von dem „Bahntreppchen“ aus zugänglich ist.
Das gesamte Anwesen der Familie Kühle wurde komplett von den Amerikanern beschlagnahmt, als diese im Jahre 1945 in Allagen einzogen. Die Familie kann für kurze Zeit mit Sack und Pack in einem Klassenraum der Volksschule unterkommen. Die Kinder gehen täglich zu ihrem Haus, um zu beobachten, was sich dort tut. Die Anlage neben dem Saal wird von Panzern total durchwühlt. Sie beobachten interessiert das rege Treiben der Soldaten in der Gaststättenküche, aus der gelegentlich Schokolade und Orangen heraus gereicht werden. Franz Kühle ist in dieser Zeit seine auf dem Dachboden versteckte Münzsammlung abhanden gekommen.
Da bereits im Jahre 1947 der Kühlen Saal für öffentliche Festlichkeiten verwendet wird, muss man annehmen, dass der Büromaterialhandel des Lumbeck aus der zugehörigen Baracke, die auf dem Hofgelände Rosier stand, betrieben wird. Im Oktober 1950 zieht Emil Lumbeck nach Wuppertal-Elberfeld.(2)
Die Vermietung des Saales an die Kolpingfamilie und den Sportverein durch den Kaufmann und Gastwirt Franz Kühle (1897-1964), der inzwischen die Geschicke des Hauses Kühle lenkt, sind nicht kostendeckend.
Durch die Errichtung der Schützenhalle im Jahre 1952 hat sich die Situation für die Familie Kühle insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht gravierend verändert, so dass eine neue Nutzung für den Saal angestrebt wird.
Möhnetal-Lichtspiele
Allagen muss ein Kino bekommen!
Diese Vision, gemäß dem damaligen Zeitgeist, wird nun schrittweise umgesetzt. Die Kinoatmosphäre findet zunächst auf normaler Bestuhlung statt, bei Einsatz mobiler Projektoren des Herrn Bange aus Soest.
Sehr bald schon wird durch Zimmermeister Klemens Störmann der Fußboden kinogerecht d.h. ansteigend umgestaltet. Eine Bestuhlung mit ca. 300 Plätzen wird eingebaut.
Mittels aktueller großformatiger Projektoren mit neuester CinemaScope-Technik wird nun die gesamte Bandbreite der aktuellen Filmproduktionen gezeigt.
Noch heute berichtet Franz Walter Kühle, dass es ihm als Sohn des Hauses Kühle, ausgesprochen unangenehm anmutete, sobald Pastor Anton Vollmer in der Sonntagsmesse von der Kirchenkanzel herab über so manchen angekündigten frivolen Film vehement wetterte, wobei dieses eher werbende Wirkung hatte und die Besucherzahlen danach merklich in die Höhe schnellten.
Dieses Kino wird zum Anziehungspunkt und Magnet für die jungen und älteren Bewohner des gesamten Möhnetals.
Ein Lichtspielhaus mit eigenem Bahnanschluss, der Haltestelle -Allagen-Dorfstraße- der Westfälischen-Landes-Eisenbahn, direkt unterhalb des Kinos gelegen. Ein absolutes Novum.
Nicht nur die Gäste, sondern auch die Filmmaterialien werden auf diesem Wege angeliefert. Der Versorgungsbahnhof ist der Bahnhof Menden, Versorger ist ein gewisser Roman Bracio.
Als Projektionsapparate kommen die legendären Ernemann II zum Einsatz. Ein Klangfilmverstärker und die Telefunken-Lautsprecher bringen das Kinoerlebnis im Bildsystemformat Breit mit Größenverhältnis 1:1 auf die gigantisch anmutende Leinwand und das an sechs Tagen mit sieben Vorstellungen, einschließlich einer Spätvorstellung.
Nach der Vorstellung schließt sich der Besuch in der eigenen Gaststätte der Familie Kühle an.
Und das alles im beschaulichen und verträumten Allagen.
Durch den Einzug der sogenannten Heimkinos in Form von Fernsehgeräten in das heimische Wohnzimmer, geht auch diese wahrlich spannende Zeit dem Ende entgegen. Die Besucherzahlen gehen drastisch zurück und im Jahre 1960 schließt das Möhnetal-Lichtspielhaus seine Türen.
Als Nutzung des Saales folgen der Betrieb einer Autofachwerkstatt des Adalbert Simon sen. und die Produktionsstätte von Kunststofffenstern von Heinz Schumacher bis in die jüngste Zeit.
Die Familie Kühle betreibt zeitgleich ein Einzelhandelsgeschäft mit Eingang zum Stukenweg und die angestammte Gastwirtschaft, die für viele Vereine das obligatorische Vereinslokal bildet.
Das Einzelhandelsgeschäft wird verlegt und durch einen zentralen Neubau zeitgemäß angelegt.
Die Gastwirtschaft geht in die Bewirtschaftung durch mehrerer Pächter über, z.B. die Familien Westermann, Marrenbach, Risse, Partacis, Partaki und Kokkinidis.
Das Haus dient heute als Wohn- und Gewerbegebäude, z.B. war es Standort für das Softwarehaus Meier & Schütte GmbH & Co KG.
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So war das mit Schlup.
Einige Impressionen in etwas höherer Auflösung
Quellen:
(1) Kirchenbücher Allagen
(2) Schmidt-Bachem, Heinz: Beiträge zur Industriegeschichte der Papier-, Pappe- und Folien-Verarbeitung in Deutschland, Quellen, Recherchen, Dokumente, Materialien, Düren, 2009
(3) Privatarchiv, Kühle
(4) Archiv, Patriot, Lippstadt
(5) Archiv, Patriot, Kreis Soest